Eine ökumenische Arbeitsgruppe von über 40 Esperanto-Sprechern aus Ost und West hat sich darauf vorbereitet, vom 23. bis 29. Juni in Graz präsent zu sein. Durch ihre tägliche Praxis, an einem Informationsstand und in mehreren Hearings, vor allem aber mit täglichen Esperanto-Gottesdiensten am Morgen und am Abend in der Kapelle des Joanneums, wollen sie zeigen, wie ein gleichberechtigtes Miteinander von Angehörigen verschiedener Sprachen aussehen kann. Bis diese ÖkEsFo-Ausgabe auf dem Umweg über Tallinn in die Hände der Leserschaft kommt, wird Graz vorbei sein. Mit dem Vorabdruck jedoch grüßen wird herzlich die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung, auf die wir uns in vielen Sitzungen bei den Kongressen in Kaunas und in Szombathely vorbereitet haben.
Da im Esperanto c stets wie deutsches z ausgesprochen wird, reimt sich
der Name der steirischen Landeshauptstadt im Esperanto nicht nur auf "Gnade"
(grac) und "Friede" (pac) - bei einem Kanon-Wettbewerb im
letzten Sommer in Ungarn wurde von diesen Möglichkeiten reichlich
Gebrauch gemacht - vielmehr läßt sich mit weiteren Reimwörtern
eine ganze Meditation zur Thematik strukturieren: "Müdigkeit, Aufgeben,
Grimasse - Kühnheit, Gabe, Scharfsinn, Hauptplatz, Raum, Heilung"
(lac, kapitulac, grimac - auxdac, donac, sagac, cxefplac, spac, kurac).
Europäische Esperanto-Kulturwoche 10.-19. 5. 97
Ein ökumenischer Frühgottesdienst in der historischen St. Johanniskirche in Aalen wurde für viele zu einem Höhepunkt - ein junger bayerischer Pfarrer, erst vor kurzem von einem Jahr Einsatz unter Deutschstämmigen in Odessa zurückgekehrt, hielt die Eingangsliturgie, die Gebete sprach der katholische Schuldekan von Herrenberg/Böblingen, die Schriftlesungen übernahmen eine Dame aus Montpellier in Südfrankreich, der Vorsitzende des italienischen katholischen Esperantobunds aus Vercelli und ein altkatholischer Priester; das Singen leitete und die Predigt hielt unser Schriftleiter; an der Orgel saß Franz Georg Rössler, Komponist und Musiklehrer aus Speyer, dessen Frau als Flötistin mitwirkte. Daß einer der Cheforganisatoren des Aalener Festivals, Apotheker Karl Heinz Schaeffer, die Mesnerdienste übernommen hatte und anschließend auf Esperanto eine historische Führung in der aus der Römerzeit stammenden Kirche machte, rundet das Bild ab. Das Opfer wurde erbeten für die Blindenhilfe des holländischen Ehepaars Jacques und Vera Tuinder, die nun im bettelarmen Albanien weiterführen, was die Esperanto-Blindenhilfe in mehr als 25 Jahren an vielen Plätzen in Afrika und Lateinamerika geleistet hat.
Das Festival in Aalen stand unter dem Motto "Kultur ohne Grenzen". Besonders eingeladen waren wie acht Tage darauf in Stuttgart Leute aus Stuttgarts Partnerstädten Samara (Rußland), Brünn (Tschechien), Lodz (Polen) und Straßburg, Man sah aber auch Japaner und wenige Afrikaner, Aalens OB, MdL Ulrich Pfeifle, eröffnete die Aalener Kulturtage, indem er im Rathausfoyer in eine umfassende und auch Sachkundige überraschende Ausstellung "Europa spricht mit 100 Zungen" einführte. Manchen mag es neu gewesen sein, dass sich gerade Esperantisten nicht für einen Einheitsbrei einsetzen, sondern die Vielfalt auch der "kleinen" Sprachen bewußt pflegen und fördern wollen. Uwe-Joachim Moritz hielt dazu ein kenntnisreiches Referat, das bald in Buchform herauskommen soll.
Stefan Fisahn, Informatik-Student aus Stuttgart, präsentierte auf der Leinwand seine neue CD-ROM, "espeRom" in HTML 3.2, die nicht nur Musik, Video-Clips und viele Texte über und auf Esperanto enthält, sondern auch den ganzen Katalog der Deutschen Esperanto-Bibliothek in Aalen, eine Sammlung von 52 Texten von Volksliedern und anderen Songs, die Adolf Burkhardt übersetzt hat, aber vor allem die ganze Esperanto-Bibel der Britischen Bibelgesellschaft in London, erstmals auch mit dem von Gerrit Berveling neu übersetzten Text der Spätschriften (Apokryphen), also nun tatsächlich die ganze Bibel.(30 DM bei allen Esperanto-Bücherdiensten; Sonderangebot: bei Pfarrer Eichkorn gegen Einsendung von 20 DM im Briefumschlag).
Das reichhaltige Kulturprogramm kam den verschiedensten Interessen entgegen - eine holländische Folklore-Gruppe, ein französischer Chansonier, das Kabarett "Singen mit Miss Barlaston" aus England, Puppentheater und internationale Zauberschau, ein Seminar über Vorurteile und versteckten Alltagsrassismus, ein Literaturgespräch über Umberto Eco und sein Buch "Die vollkommene Sprache", eine Führung im Schubart-Museum durch den Direktor des Stadtarchivs mit Konsekutivübersetzung ins Esperanto und vieles mehr für Senioren, Kinder und Jugendliche. Es bot neben einem weitgefächerten turistischen Rahmenprogramm dem Ostalbkreis viele Gelegenheiten, Esperanto als lebendige Sprache zu erleben - wo man sich mit Rumänen und Franzosen, Ukrainern und Italienern eben nicht mit ein paar Brocken und den oft beschworenen Händen und Füßen verständigen mußte, sondern höchst natürlich, in einer Sprache, die für alle Beteiligten eine erlernte Sprache ist und gerade deshalb Gleichberechtigung bis in den Bauch hinein erfahrbar macht.
Weil man aber auch denen, die noch keine eigenen Sprachkenntnisse besitzen, einen Einblick in die Originalliteratur des Esperanto geben wollte, hatte die Schriftstellerin Spomenka Stimec aus Zagreb für ihre Dichterlesung veranlaßt, daß allen Gedichten eine von A. Burkhardt besorgte deutsche Prosaübersetzung zur Seite gestellt wurde. Das Heft mit den 44 Gedichten ist inzwischen allerdings bereits vergriffen (beim Schriftleiter in Weilheim gegen Einsendung von 5 DM in Briefmarken in wenigen Exemplaren noch zu haben - Anschrift s. Impressum), Der Inhalt spiegelt die Wirklichkeit wider: Christen kommen unter den Autoren von Auld bis Urbanová kaum zu Wort. Also kein christliches Heft! Aber es schadet niemand, gelegentlich über den eigenen Zaun zu blicken.
Als Sprachprobe folgt hier ein Gedicht, das nicht im Aalener Heft steht.
Es ist einer Veröffentlichung aus dem Verlag von Gersi Alfredo Bays
entnommen, der 1996 den Aalener Esperanto-Kulturpreis der FAME-Stiftung
erhalten hat (ÖkEsFo Nr.22, S. 93). Der jüdische Verfasser wohnt
als Überlebender des Holokaust in New York. Die deutsche Übertragung
stammt wieder von Adolf Burkhardt.
Nicht mit Esperanto, sondern mit Europa und seiner Zukunft befasste sich der zweite Teil der Kulturwoche, nämlich der Esperanto-Kongreß der Europäischen Union, der über die Pfingsttage in Stuttgart interessierte Europäer aus Ost und West zusammenführte. Man sprach und diskutierte über das Thema allerdings auf Esperanto, auch Michael Cwik von der Europäischen Kommission ("Die Währungsunion") und André Ruysschaert vom Europäischen Gerichtshof als Moderator bei einer Podiumsdiskussion ("Europa - wohin?"). Am Pfingstsamstag referierten dazu der Europaabgeordnete Dr. Rolf Linkohr, SPD, am Pfingstsonntag Siegbert Alber, CDU. Als einzige sprachen sie auf dem Podium deutsch und hörten über Kopfhörer die deutsche Simultanübersetzung aller übrigen Beiträge. In der Dolmetscherkabine arbeitete Adolf Burkhardt aus Weilheim. Ulrich Görtz dagegen saß neben den Abgeordneten, um deren Beiträge konsekutiv aus dem Stand in blendendem Esperanto wiederzugeben.
Wie wird es in Straßburg, Luxemburg und Brüssel mit den Sprachen weitergehen, wenn die Osterweiterung der Europäischen Union verwirklicht wird, mit Ungarisch, Polnisch, Tschechisch, Litauisch, Lettisch, Estnisch usw.? Siegbert Alber ist eindeutig: Wie bisher müssen alle Sprachen der Mitgliedsländer gleichberechtigt bleiben. Wenn das technisch nicht mehr geht, darf keine Nationalsprache die alleinige Vorherrschaft erlangen, weil das den Muttersprachlern große Vorteile einbringen würde, sondern es muß eine neutrale Zweitsprache sein - Latein oder Esperanto. Im Augenblick behilft man sich noch mit schlechtem Englisch und Französisch.
Daß sich Leute aus zwanzig Nationen gleichzeitig an absurdem Theater amüsieren und das auch noch auf Esperanto, klingt immer noch vielen, auch einflußreichen Leuten wie etwas, was es nicht geben kann und nicht geben darf. Sie hätten am Pfingstabend in die König-Karl-Halle im Haus der Wirtschaft kommen sollen - La kalva kantistino (Die kahle Sängerin) von Eugène Ionesco stand auf dem Programm, gespielt von der Truppe "Kia koincido". Einer der Hauptdarsteller ist im Zivilberuf Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk, gerade rechtzeitig noch von einer Dienstreise aus Usbekistan zurückgekehrt.
Im nahegelegenen Hospitalhof, einem Kulturzentrum Stuttgarts, gibt es das ganze Jahr hindurch eine Vielzahl von Veranstaltungen, die aus dem Üblichen herausfallen. Aber dies hat es wohl noch nie gegeben, daß in der Hospitalkirche vom ersten bis zum letzten Wort in einem ökumenischen Gottesdienst nur die neutrale völkerverbindende Sprache zu hören war. Überdurchnittlich viele Kongreßteilnehmer kamen am Pfingstsonntag zu dem von Albrecht Kronenberger (kath.) aus der Diözese Speyer und Adolf Burkhardt (evang.) vorbereiteten Festgottesdienst, mit kräftigem Gesang und gespannter Aufmerksamkeit. (Der Organist, Christoph Röther, spielt nicht nur gut; er kann auch darauf hinweisen, daß schon seine Ururgroßmutter Esperanto sprach und als erste Frau einen Preis für Esperanto-Dichtungen bekam. Nach Marie Hankel wurde jetzt in Dresden ein Esperanto-Dokumentationszentrum benannt). Daß man nicht gemeinsam die Eucharistie feiern konnte, sondern an zwei deutlich voneinander unterschiedenen Enden des Altars das Abendmahl feierte und die Kommunion austeilte, war für die einen ein schmerzlich empfundener Riß in einem bis dahin pfingstlich einmütigen gottesdienstlichen Erlebnis, während es vielleicht manchen andern, vor allem den nicht Anwesenden, zu weit ging. Aber um Pfingsterfahrungen machen zu können, muß man dabei sein. Die meisten Theologen und die Mehrheit des Kirchenvolks verstehen die Trennung immer weniger und können sie zwar historisch begründen, aber der jungen Generation kaum mehr vermitteln.
Aalen und Stuttgart waren Etappen. Man will sich wieder sehen, in Graz (Steiermark) bei der Europäischen Ökumenischen Versammlung, gleich im Anschuß danach zur Auswertung in Zalaegerszeg (Ungarn) beim Christlichen Esperanto-Kongreß, im August beim ökumenischen Jugendzeltlager im Schwarzwald, manche auch in Adelaide (Australien) beim Esperanto-Weltkonreß, Ende August in Rom und Rimini beim 50. Katholischen Kongreß. Und nächstes Jahr in Nantes, ökumenisch, zur 400-Jahrfeier des Edikts, danach in Montpellier, und 1999 dann in Berlin ...
Esperanto hieß ursprünglich, als Pseudonym des Begründers,
"Einer der hofft". Die vielen, die sich heute, fast ausschließlich
mit ihrem eigenen Geldbeutel, an dieser Bürgerinitiative für
mehr kulturelle Gerechtigkeit und Gleichberechtigung beteiligen, hoffen,
daß ihr Modell, immer von neuem erprobt, bald Schule machen wird
und es zu mehr Verständigung und zu größerem Verstehen
zwischen den Menschen beitragen wird. Man darf das nicht den Politikern
allein überlassen und auch nicht den Kirchenleitungen.
Stuttgart. Unser Leser Martin Baumann
in Stuttgart hat beim Korrekturlesen für die CD-ROM "espeRom" einen
weiteren Fehler in der Esperanto-Bibel entdeckt. Wir können das Suchspiel
also fortsetzen (vgl S.103 und 106). Was ist im Psalm 68 nicht in Ordnung?
Um die Sache etwas spannender zu machen, wird diesmal die genaue Stelle
nicht angegeben; den Vers mit dem Fehler sollen Sie also selbst entdecken.
Weilheim an der Teck. Während des
großen Taizé-Treffen auf dem Killesberg in Stuttgart fanden
auch hier Gottesdienste mit Teilnehmern des Treffens statt. An Silvester
wurde die Schriftlesung deutsch, französisch, kroatisch, litauisch,
slowakisch und, stellvertetend für alle andern Sprachen, auf Esperanto
vorgetragen. Am andern Morgen, im Neujahrsgottesdienst, dolmetschte Adolf
Burkhardt die Ansprache des Ortspfarrers ins Englische, ging aber bei den
Fürbitten ins Esperanto über. Eine Frau aus der Gemeinde sagte
hinterher: ich habe alles verstanden! Kein Wunder: sie stammt aus Spanien.
Schwelm. Die Westfälische
Rundschau vom 4. Mai 1997 berichtet:
Max Josef Metzger, von den Nazis hingerichteter katholischer Priester,
ist rechtlich rehabilitiert. Das vom Volksgerichtshof 1943 verhängte
Urteil sei "nichts als eine Haßtirade" gewesen und deshalb aufgehoben,
so das Berliner Landgericht.
Diese Nachricht übermittelte uns Anton Kronshage aus Schwelm. Metzger
hat in den Zwanzigerjahren in Graz die esperantosprachige Zeitschrift Katolika
Mondo redigiert. (Anm. von BE: Das Konradsblatt, Wochenzeitung
der Erzdiözese Freiburg/Breisgau, merkt bei dieser Nachricht an, daß
1996 Dieter Bonhoeffer in gleicher Weise rechtlich rehabilitiert wurden
ist.)
Kirchheim unter Teck. Kirchenmusikdirektor
Ernst Leuze spielte über Pfingsten in einem 42-stündigen Marathon
in der Kirchheimer Martinskirche auf der großen Orgel, dem Flügel,
dem Cembalo, dem Claviorganum, dem Keyboard und dem Clavichord alle Lieder
des neuen Evangelischen Gesangbuchs einschließlich des württembergischen
Regionalteils, mit allen Strophen. Vom Esperanto-Kongreß konnte er
sich deshalb leider nur berichten lassen, obwohl er als UEA-Mitglied ein
pünktlicher Leser der Zeitschrift Revuo Esperanto ist.
Nürnberg. Pfarrer Werner Drüschler,
früher altkatholischer Priester in Pössneck und Dresden, ist
im Februar verstorben. Im letzten Jahr hat er beim Deutschen Esperanto-Kongreß
in Würzburg die Predigt gehalten. Er war besonders an Liturgie interessiert,
hat mit seiner Geige aber auch manche Esperanto-Tagung bereichert.
Greussen, Thüringen. Nach kurzer
Krankheit starb am 2. April 1997 Pfarrer Hans-Jürg Kelpin, vielseitig
engagierter Theologe und Kommunalpolitiker, im 62. Lebensjahr. Beim ökumenischen
Kongreß 1985 in Augsburg predigte er auf Esperanto über Offenbarung
21,1-7. Wir haben uns von ihm noch viel erhofft.
Thalmässing. Neuer Vorsitzender
der deutschen Landesabteilung von KELI wurde Pfarrer Lothar Baumgart. Die
Versammlung der Ökumenischen Liga, die in Stuttgart im Rahmen der
Esperanto-Kongresses der Europäischen Union die Wahl vornahm, bestätigt
die Sekretärin, Hella Lanka (Hamburg) und die Kassenverwalterin, Astrid
Hanke (Westerland/Sylt) in ihren Ämtern, Aus dem Grußwort des
neuen Vorsitzenden können wir aus Raumgründen erst in der nächsten
Ausgabe zitieren.