ÖkEsFo Nummer 12 -  3. Jahrgang  -  September / 1993

Roman Forycki:
Wege der Versöhnung ­
Perspektiven
deutsch-polnischer Begegnung

Ein starkes Echo fand die von der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg in Villingen vom 26.-28. März 1993 veranstaltete Tagung "Grenze als Chance" (ÖkEsFo Nr.8, S.38). Dr. Forycki arbeitet derzeit in Warschau am Aufbau einer neuen katholischen Universität mit. Nach Lublin wird dies die zweite kirchliche Universität Polens sein.
In ÖkEsFo Nr.10, S. 46 ff. haben wir bereits begonnen, dieses Referat zu veröffentlichen. Wir wollten es in Fortsetzungen in den nächsten Nummern von ÖkEsFo abdrucken. Aber Teilveröffentlichungen sind immer mißverständlich, weil Gedanken aus einem Gesamtzusammenhang herausgenommen werden. Inzwischen hat sich aber auch viel Informationsmaterial angesammelt, so daß es uns an Platz für weitere Teilveröffentlichungen mangelt. Daher veröffentlichen wir nun den ganzen Vortrag von Dr. Forycki ­ also einschließlich des bereits in ÖkEsFo 11/93 abgedruckten 1. Teils ­ in einer ÖkEsFo-Sondernummer 12/92.
Bemerkenswert für Esperantofreunde: Der Referent hat sein Referat auf Esperanto ausgearbeitet und in deutscher Übersetzung vorgetragen. Die anschließende Diskussion wurde zweisprachig in Esperanto und Deutsch durchgeführt. Dolmetscher war Adolf Burkhardt.

Es folgen hier einige teilweise stark gekürzte Ausschnitte des Vortrages. Nach einer biblisch-theologischen Grundlegung über Versöhnung zwischen Gott und Mensch und den Folgerungen für die Menschen, insbesondere die Christen, sagte Dr. Forycki:
 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Leider leben auch die Christen nicht immer als Versöhnte in Eintracht und Frieden. Sie betonen oft unwesentliche Unterschiede. ... Sie beten zum Vater aller Menschen und wenden sich doch gegen ihre Schwestern und Brüder. Es fehlt oft am genügenden Einsatz, um die Versöhnung zu verwirklichen. Dabei dient diesem Ziel jede Geste der Versöhnung und der Einheit, jede auf Einigung zielende Denkweise. Bemühung und Wunsch nach solchen Zeichen müssen vervielfacht werden. Dabei ist unwichtig, was jemand ist: reich oder arm, Wissenschaftler oder einfacher Mensch, schwach oder stark, Deutscher oder Pole. Wichtig ist nur der Mensch. Die Teilhabe an der Menschennatur ist die Grundlage aller menschlichen Einheit und Solidarität. Nach dem Konzil "hat Christus, der die Menschennatur erhalten hat, die ganze Menschheit in einer Familie mit sich verbunden durch eine übernatürliche Solidarität" (So das Konzilsdekret über das Apostolat der Laien 8). ... Dennoch, um diese Solidarität zu verwirklichen, muß man alles wegwerfen, was dem entgegensteht. Wir wissen, das unsere Sünde ein solches Hindernis ist. Das allergrößte Hindernis aber ist, diese Sünden sich gar nicht einzugestehen. Leider möchten viele nicht eingestehen, daß sie Sünder sind. Meistens schieben die Menschen die Schuld den anderen zu. Und das Eingeständnis der Schuld ist notwendig, damit Vergebung und Versöhnung sich ereignen können.

Unsere Versöhnung mit Gott ermöglicht die wahre Versöhnung mit dem Nächsten, denn nach dem Konzil "überschreitet Versöhnung menschliche Kräfte und Möglichkeiten" (So das Dekret über den Ökumenismus 24). Und ohne die Versöhnung mit Gott kann unsere Versöhnung mit Menschen nur eine scheinbare und äußerliche sein, unehrlich und voller Vorwände. Vor Gott können wir nicht schauspielern, denn Gott sieht unsere Gedanken, Gefühle, Absichten und Motive. Er also ermöglicht es, daß wir auch vor den Menschen lauter sind. Das Bekenntnis und die Abwendung von der Sünde vor Gott hat so eine fundamentale Bedeutung für die Versöhnung mit den Menschen. Auch daran sollten wir denken wenn es um die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen geht.

A. Die historischen Grundlagen

Wir wissen aus der Geschichte, daß die Anfänge des Christentums in Polen wie auch der Anfang des polnischen Staates durch gute Beziehungen zwischen Otto dem Dritten und Mesko dem Ersten sowie Boleslaw Chrobry gekennzeichnet waren.

Der Kaiser half ihnen, Staat und kirchliche Verwaltung zu schaffen, und Polen half dem Kaiser, den Plan des Reiches über die ganze nichtbyzantinische Welt zu verwirklichen. So leistete Polen seinen Beitrag zur Formung Osteuropas, und es hatte gute Beziehungen zu seinen westlichen Nachbarn. Polen pflegte einen lebhaften Austausch mit den Ländern an seiner Westgrenze, ebenso mit Österreich und Italien. Zwischen den polnischen Städten Kalisz und Krakau einerseits und den deutschen Städten Speyer und Mainz andererseits entwickelte sich nicht nur Handelsaustausch. Aus dem Westen kamen Benediktiner und Dominikaner, und sie breiteten sich rasch aus.

Für polnische Stadtgründungen hatte das magdeburgische Gesetz große Bedeutung. Es bewirkte, daß deutsche Händler, Architekten und Künstler nach Polen kamen. Sie behielten ihre Familiennamen, obwohl viele von ihnen Polen wurden. Bei der großen Krakauer Marienkirche finden wir bis zum heutigen Tag Grabaufschriften von deutschen Familien aus dem Mittelalter.

Das klassische Beispiel polnisch­deutscher Zusammenarbeit im Mittelalter ist der weltbekannte Bildhauer Wit Stwosz (Veit Stoß) in Nürnberg, der beinahe sein ganzes Leben in Krakau arbeitete. Dort schuf er auch eine eigene Künstlerschule, von der aus die polnische Kultur sehr bereichert wurde.

Von Deutschland aus zogen auch Glaubensboten und Heilige nach Polen. ... Wichtig ist die heilige Hedwig, geboren in Andechs, Gemahlin des polnischen Regenten von Schlesien, Heinrich Brotaty. Sie hat in Trzebiania den Orden der Zisterzienserinnen gegründet. Dort befindet sich auch ihr Grab. Um dem polnischen Volk besser dienen zu können, erlernte sie sogar die polnische Sprache. So gab sie ein lebendiges Beispiel, wie man Brücken bauen kann zwischen Polen und Deutschen.

Heilige bauen solche Brücken besonders gut. Sie nehmen niemand etwas weg, weder Sprache noch Land noch Sitten noch irgend etwas vom Eigentum. Im Gegenteil, sie bringen das, was am wertvollsten und am meisten geschätzt ist, nur um den Nächsten zu bereichern. Gerade deshalb pilgern so viele zum Grab der heiligen Hedwig, nicht nur Schlesier und Polen, sondern auch Ungarn, Tschechen, Slowaken und Deutsche. Ihr Fest ist international. ...

B. Aus der Geschichte schlimmer Beziehungen zwischen Deutschen und Polen

Leider waren die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen nicht immer ohne Tadel. Das fing an mit den Ordensrittern und ihrer Praxis der gewaltsamen Bekehrung. Die Methode der Gewalt übernahmen dann die Preußen. Sie verachteten nicht nur Sprache und Gewohnheiten der Polen, sondern sie führten auch mehrere Teilungen Polens durch. Sie nahmen den Polen auch die ältesten Teile des polnischen Landes weg mit deren ersten Hauptstädten Gniezno und Pozna. Die Teilungen hat das polnische Volk nie hingenommen. Deshalb konnte Preußen auch eine 120 Jahre dauernde Teilung Polens nicht weiterführen. Im Gegenteil und gerade deshalb ist die Germanisierung praktisch gescheitert. Und aus demselben Grunde mißlang auch Bismarcks Kampf gegen die polnische Kultur und ihre Kirche.

Folge ist allerdings, daß mehr und mehr Polen gegen Deutsche eingestellt sind, in einer Art und Weise, wie es bei Christen nicht sein darf.

Die jüngste Geschichte dieser Beziehungen ist mit dem Hitlerismus verbunden, der nicht nur das Land, sondern die Existenz Polens überhaupt bedrohte. Man wollte durch Ausrottung der polnischen Intelektuellen das ganze polnische Volk vernichten. Tatsächlich kamen sechs Millionen polnische Bürger um. Unter Intelektuellen verstand man die polnischen Pfarrer, Lehrer, Offiziere, Besitzer großer Güter und Handelshäuser, Schriftsteller und Journalisten, kurz: alle Personen mit höherer und mittlerer Bildung. Der Hitlerismus behandelte die Polen als Untermenschen, unfähig, ihre Güter zu verwalten und vernünftig zu bewirtschaften. Diese Verachtung richtete sich nicht nur gegen Polen, sondern auch gegen Juden und gegen alle slawischen Völker.

Dies macht die Haltung der Polen gegen die Deutschen verständlich. Denn diese Haltung mußte sich ständig verteidigen und absichern, ja sie wurde feindselig.

C. Ist dies eine unüberwindliche Feindschaft?

Manche sehen die guten Perspektiven gar nicht. Das sind Leute, die von Feindschaft und Haß als etwas geradezu Naturgegebenem reden. Dann müßten freilich alle Mühen um Annäherung und Freundschaft scheitern.

Stimmt das? Die Anfänge der gegenseitigen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen widersprechen dem. Und während der ganzen Geschichte dieser Beziehungen findet man Deutsche und Polen, die sich freundschaftlich und brüderlich verhalten haben. Auch während des letzten Weltkrieges haben viele Deutsche das Gleiche erlitten wie die Polen. Viele Deutsche hatten Mitleid mit verfolgten Polen, haben geholfen und viele Zeichen wahrer Freundschaft gegeben. Ähnlich war es nach dem Krieg, als das polnische Land Hilfe brauchte.

Und diejenigen, die sich unter nationalsozialistischem Einfluß falsch verhielten, brauchen nun Vergebung. Oft genug haben sie an ihren schweren Gewissensbissen gelitten und bedauern nun ihre Untaten. Wenn wir ihnen jetzt vergeben, können wir endgültig das Böse überwinden und einen Weg der Versöhnung und Verbrüderung vorbereiten.

Zu diesem Entschluß kamen die polnischen Bischöfe am Ende des 2. Vatikanischen Konzils, als sie an die deutschen Bischöfe jene besondere Botschaft der Vergebung richteten. Sie schrieben: "Wir vergeben und wir bitten um Vergebung". Diese Worte wurden in Polen heftig kritisiert. Erst später kam man zur Überzeugung, daß Schuld selten nur auf einer Seite liegt. Meistens sind beide Seiten irgendwie schuld.

Die Botschaft war von den deutschen Bischöfen gut aufgenommen worden. Sie bejahten diese Botschaft in der Hoffnung, daß zu den künftigen Beziehungen zwischen Deutschen und Polen der ständige Dialog gehört. Sie weisen darauf hin: wir müssen mehr und mehr als Kinder des einen Vaters im Himmel leben. Und sie hoffen, daß Polen im christlichen Europa wieder jene Rolle übernehmen kann, die ihm in der Geschichte zufiel. Der gemeinsame Glaube müßte das möglich machen.

Vergebung schließt ein, daß man eigene Schuld zugibt. Zu den häufigsten Fehlern zwischen Menschen gehören Egoismus, Geringschätzung, Aggression und Gewalt. Viele Fehler sind Polen wie Deutschen gemeinsam. Andere unterscheiden sich. Was ist mein Fehler, meine Sünde? ­ Das ist die fundamentale Frage. Was tue ich, um Vergebung zu erlangen? Und schließlich: Wie arbeite ich mit in meiner Nation und für andere Nationen, daß sie wachsen und sich entwickeln können? Gehören Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit und Liebe zu meinen höchsten Werten? Der Geist der Vergebung und Versöhnung entwickelt Hochschätzung, kultivierten Umgang, Höflichkeit, Ehrlichkeit und Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Nicht zuerst andere beschuldigen, sondern zuerst die Schuld bei sich selbst suchen! Das ist der Weg zur Versöhnung, ist Hintergrund des Dialoges. Wahre Freundschaft meidet die Wahrheit nicht, im Gegenteil, sie bringt die Wahrheit in Liebe zur Sprache. Wahre Freundschaft respektiert, was indiskutabel ist, und diskutiert das, was der Klärung und Berichtigung bedarf. ...

Es ist nicht nur nützlich, sondern unabdingbar, miteinander in einen Dialog zu treten. Trotz aller Schwierigkeiten. Trotz bisher geringer Erfolge. Ja gerade deswegen. Für einen solchen Dialog müssen wir uns rüsten. Der Dialog spielt eine wichtige Rolle schon in einer kleinen Familie. Er spielt eine besondere Rolle in der Versöhnung zwischen den Nationen. Und ich denke, daß die deutsch-polnischen Beziehungen hier keine Ausnahme bilden.

Im Dialog kann man unwahre und unrichtige Meinungen auf beiden Seiten widerlegen, beispielsweise eine polnische Meinung, die Deutschen seien aggressiv und grausam, oder eine deutsche Meinung, die Polen seien primitiv und ungebildet. Der Dialog ermöglicht es, Verallgemeinerungen, Übertreibungen und Einseitigkeiten zu vermeiden. In der Geschichte hat oft genug die eine Unwahrheit die andere erzeugt. So hat beispielsweise das Buch "Deutschland und Polen", herausgegeben im Jahr 1933 in Deutschland, das Buch "Niemcy a Polska" provoziert, das im Jahre 1934 in Polen erschien. Das gehässige Buch mit dem Titel "Das ist Polen" des Deutschen Oertzen hatte das ebenso gehässige Buch mit dem Titel "Oto Prusky" des Polen Bielski zur Folge. Ein wahrer Dialog aber ermöglicht es, historische Zweifel zu klären und gegenseitige Anklagen zu vermeiden.

Im Dialog können wir die wirklichen Gründe gegenseitiger Abneigungen erkennen und uns überzeugen, daß sie oft auf Mißverständnissen beruhen, oder politischen und ideologischen Charakter haben. Der Dialog ermöglicht uns, die Geschichte von solchen falschen Einflüssen zu befreien und eine für alle akzeptable Geschichte unserer Beziehungen zu schreiben. Dafür müssen wir in unserem Reden und Schreiben eintreten, in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie in den Schulbüchern. Die Wissenschaft darf nicht als Instrument der Beschädigung oder Vernichtung irgend einer Nation oder Sprache mißbraucht werden. Sie muß immer der Versöhnung dienen.

D. Was wurde bisher getan mit dem Ziel,
einen Dialog zu erreichen?

Am 14. November 1990 haben die Verantwortlichen unserer beiden Länder einen Vertrag über unsere gemeinsame Grenze abgeschlossen, und am 17. Juni 1991 einen Vertrag über gutnachbarschaftliche und freundschaftliche Zusammenarbeit.

Im Jahr 1976 haben unsere Länder die Initiative ergriffen, gemeinsam akzeptierte Schulbücher zu erarbeiten. Bis jetzt haben wir die sogenannten "Empfehlungen für Schulbücher zur Geschichte und Erdkunde", und es gibt regelmäßige Begegnungen um Verbesserungen zu erarbeiten und Problemen zu lösen, die sich bei der Anwendung der genannten "Empfehlungen" ergeben.

Schon seit dem Jahre 1945 haben unsere Länder angefangen, beiderseitige Literatur zu übersetzen und herauszugeben. Bis 1990 hat man in Deutschland mehr als eintausend polnische Bücher herausgegeben, klassische und neuzeitliche. Die Deutschen kennen schon die Werke von so bekannten Schriftstellern wie Mickiewicz, Krascewski, Sienkiewicz, Reymont, aber auch von Andrzejewski, Brandys, Lem und Miosz. Ebenso kennen die Polen die Werke von Goethe, Thomas Mann und Brecht.

Aber das genügt nicht. Die Situation in Europa hat sich ja wesentlich gewandelt. Ohne die wirkliche Vereinigung von Osteuropa mit Mittel­ und Westeuropa ist der Traum von Europa nicht zu verwirklichen. Und eine Beschleunigung dieses Prozesses hängt größtenteils von unseren Beziehungen ab. Darüber hat der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seinem Aufenthalt in Warschau am 2. Mai 1990 gesprochen. Er sagte unter anderem: "Wir Deutsche und Polen wohnen nebeneinander im Herzen Europas. In dieser Zeit einer historischen Wende sind wir für dieses Herz Europas verantwortlich. Dank unserer gegenseitigen Verständigung können wir das ganze Europa einer freien und friedlichen Zukunft näher bringen".

Deswegen ist es notwendig, unsere Kontakte zu erweitern. Sie müssen persönlicher werden. Wir sollten miteinander nachdenken und diskutieren, wie man diese Annäherung besser realisieren kann. ...

Unserem Ziele können auch andere Veranstaltungen der Kirche dienen, zum Beispiel der Katholikentag in Dresden 1994 oder die jährlichen Wallfahrten zum polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau. Ich lade Sie ein, nach Polen zu kommen. Laden Sie Polen nach Deutschland ein. Ich bedanke mich herzlich, daß ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde. Ich darf erleben, wie man hier miteinander lebt. Schreiben Sie uns Briefe, lesen Sie Bücher über unser Land, regen Sie Übersetzungen an, riskieren Sie die Herausgabe solcher Bücher. Wir Polen schätzen deutsche Sprache und Literatur hoch ein.

Es gibt eine lange Liste von polnischen Städten und Pfarreien, die gerne einen beidseitigen Kontakt mit einer deutschen Stadt oder Pfarrei in die Wege leiten möchten. Tun Sie sich in Ihren Gemeinden mit anderen zusammen. Zwei oder drei, die es ernst meinen, können in einer Gemeinde eine solche Partnerschaft begründen und betreiben.

Diese Kontakte können entscheidend sein. So war es ja auch bei den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Die Deutschen haben eine wunderbare Leistung vollbracht: Sie haben zusammen mit dem französischen Volk eine Jahrhunderte alte Erbfeindschaft binnen einer Generation in eine Völkerfreundschaft verwandelt. Politiker wie Adenauer, de Gaulle, de Gaspari, und andere haben nach einem furchtbaren Krieg die Weichen gestellt. Laßt uns miteinander nachdenken, mit welchen Mitteln das erreicht wurde. Laßt uns ebenso handeln und die so fruchtbaren Wege der deutsch-französischen Partnerschaft auch auf eine wachsende deutsch-polnische Partnerschaft ausdehnen.

E. Die Rolle der internationalen Sprache Esperanto

Wie soll man das verwirklichen, wenn wir keine gemeinsame Sprache haben? Wer in Deutschland kann Polnisch? "Man kann doch nicht auch noch Polnisch lernen", denkt nun mancher. Aber was tun? Wenn man diese Schwierigkeiten betrachtet, erkennt man, daß die internationale Sprache Esperanto die Lösung des Problems ist. Sie ist ja eine Brückensprache, ist relativ leicht zu lernen und wird seit 100 Jahren mit Erfolg bei internationalen Kontakten praktiziert. Dank dieser Sprache finden Begegnungen und Zusammenkünfte statt, die es sonst nie gäbe. Darunter sind nicht nur Kongresse für solche, die Esperanto sprechen, sondern auch Treffen und Seminare für solche, für die Esperanto nur eine Brückensprache ist. Bei diesen Seminaren benützt eine Gruppe der Teilnehmer ihre eigene Sprache, und Esperanto ist die Sprache für die andern, die Nationalsprache nicht beherrschen. So können wir aus der Engführung der heutigen Sprachenpolitik herauskommen.

Deshalb ist es angemessen, Esperanto als zusätzliche Sprache bei internationalen Kongressen und Zusammenkünften vorzuschlagen. Wenn man Esperanto spricht, kann man sich dann als vollwertiger Teilnehmer fühlen. Die Teilnehmer sind dann nicht unterteilt in die bevorzugte Gruppe derer, die ungeniert ihre Muttersprache sprechen, und in die benachteiligte Gruppe derer, die oft nur unvollständig und ungeschickt die fremde Sprache sprechen. Das ist die innere Idee des Esperanto: Von überall her zusammenzuführen und Grenzen der Trennung zu überschreiten.

Ich freue mich, daß immer häufiger bewiesen wird, daß dies möglich ist. Man sieht das an dieser unserer Veranstaltung. Durch Esperanto kam dieses Seminar zustande. Und in diesem Sommer wird im polnischen Kloster Gosty mit Esperanto ein Seminar Über die christliche Soziallehre veranstaltet. Deutsche, Tschechen und Polen organisieren die dortige Zusammenkunft, eine wahrhaft internationale Zusammenarbeit. Ich lade die Akademie der Erzdiözese Freiburg ein: Springen Sie über die Mauern Ihrer Diözese! Veranstalten Sie bei uns in Polen Seminare! Wir haben gute, einfache, äußerst billige Unterkünfte, zum Beispiel im genannten Gosty, ca. 200 km östlich von Frankfurt an der Oder. Pfarrer Eichkorn hat mit tschechischen und polnischen Mitarbeitern ein Jahresprogramm herausgegeben, das als Anregung dienen kann.

Esperanto lernen heißt aber nicht, es sei nun nutzlos, die Sprache des Nachbarlandes zu lernen. Solange Esperanto nicht allgemein verbreitet ist, ist es richtig, Polnisch und Deutsch zu lernen. Es ist wichtig, daß dies in Schulen und privat geschieht. Nicht nur wir Polen, auch Ihr Deutsche braucht Dolmetscher und Übersetzer. Durch die Sprache findet man die Kultur und durch die Sprache entsteht Verständigung. Solange es Ungleichheit zwischen Sprachen gibt, so lange wird auch die Kultur der verschiedenen Völker ungleich behandelt. Die Geschichte beweist, daß jeder Sprachimperialismus Abneigung, ja Feindschaft hervorruft.

Zur Jugend gehört es, auf neue Ideen zu kommen. Schade, daß beim Weltjugendtreffen 1991 in Tschenstochau die Jugend aus Deutschland nicht dabei war. Vielleicht wären wir schon weiter. Jetzt sollten wir uns beeilen, verlorene Zeit einzuholen. In den deutsch­französischen Beziehungen funktioniert der Austausch von Studenten gut. Wir hoffen, daß es auch in den Beziehungen unserer Völker so sein wird. 1992 nahmen an solchen Veranstaltungen 18 000 Deutsche und Polen teil. Im Jahr 1993 erhofft man bis zu 24 000 Jugendliche. Hoffnungsvoll stimmt auch, daß am 1. Januar 1993 das deutsch­polnische Jugendwerk seine Büros in Warschau und Potsdam eröffnet hat. Man kann sich gar nicht ausmalen, was das für die gegenseitige Begegnung und Verbrüderung bedeuten kann.

So sind also die Perspektiven der Versöhnung zwischen unseren beiden Völkern Garnichts so hoffnungslos. Man kann sogar feststellen, daß noch nie eine derartige Bereitschaft zur Versöhnung bestand wie heute. Heute erleben wir wahrhaft historische Chancen, die wir sehen und nützen müssen. Noch nie war die Sinnlosigkeit von Gegeneinander und Feindschaft so offensichtlich und klar. Unsere Nachbarschaft fordert und zu Miteinander und Freundschaft heraus. Vielleicht ist das der tiefste Sinn des größten göttlichen Gebotes, der Nächstenliebe. Wenn wir das verstanden haben, können wir von wahrem christlichem Zeugnis sprechen, das wir einer zerrissenen Welt und besonders unserem Kontinent Europa geben müssen.

Übersetzung aus dem Esperanto: Bernhard Eichkorn
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